flat4 - Aktive und passive Sicherheit
Unfallsicherheit im VW Käfer

Aktive Sicherheit

Passive Sicherheit

Mindestanforderungen an die aktive und passive Sicherheit

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VW Käfer nach Frontalaufprall, Quelle www.bugnet.net (ex herbie.net)
 
 
Unfallsicherheit im VW Käfer
Die luftgekühlten Volkswagen Modelle sind von ihrer technischen Grundkonzeption in der heutigen Zeit nicht mehr auf dem Stand der Technik. Es stellt sich die Frage, ob ein sicheres Fahren mit diesen "Oldtimern" im Rahmen unseres Hobbies überhaupt möglich ist und welche Gefahren im Falle eines Unfalls eingegangen werden.

Ich möchte diese Fahrzeuge am Stand der Sicherheitstechnik der damaligen Zeit, also der 60er und 70er Jahre messen. Dazu ist besonders die in den USA erstellte Studie "The Volkswagen - an assessment of distinctive hazards" /1/ sowie die Untersuchungen des HUK-Verbandes über innere Sicherheit im Auto /2/ geeignet. 

Aktive Sicherheit
Unter aktiver Sicherheit versteht man die Maßnahmen am Fahrzeug, die Unfälle von vornherein vermeiden helfen. Beim Käfer werden die Punkte
  • Seitenwindempfindlichkeit (27%),
  • Eigenlenkverhalten (Übersteuern) (17%) und 
  • Kippsicherheit
von Lesern der Zeitschrift Road & Track in den USA 1969 am meisten kritisert. Die Prozentzahlen geben die Aussagen der Besitzer von Käfern der Baujahre 1963 bis 1967 wieder.

Seitenwindempfindlichkeit
Die Seitenwindempfindlichkeit wird beim Käfer begünstigt durch die geringe Vorderachslast und den vor dem Schwerpunkt liegenden Seitenwind-Druckpunkt. Diese Tatsache konnte durch konstruktive Maßnahmen nie geändert werden.

Eigenlenkverhalten
Die Tendenz zum Übersteuern ist konstruktiv vorgegeben durch

- eine hohe Hinterachslast und unzureichende Fahrwerksabstimmung auf diesen Umstand,
- eine große Sturzänderung der hinteren Pendelachse mit Aufstützeffekt,
- eine große dynamische Radlaständerung hinten bei kleiner Spurweite begünstigt durch 
- ein hochliegendes Momentanzentrum (Rollzentrum) der Hinterachse und
- eine Bereifung mit zu geringer Seitenführung der Hinterachse.
 
Das hohe Momentanzentrum der hinteren Pendelachse in Verbindung mit dem auf der Fahrbahrhöhe liegenden Momentanzentrum der Längslenkervorderachse ist eine schlechte Vorraussetzung für eine sinnvolle Verteilung der Abstützung der Seitenkräfte auf Vorder- und Hinterachse und damit ein neutrales oder leicht untersteuerndes Eigenlenkverhalten. 
 
Das Eigenlenkverhalten verbesserte sich durch die Einführung des Stabilisators an der Vorderachse ab 1959 und der Ausgleichsfeder an der Hinterachse ab 1967. Außerdem erbrachte die Federbeinvorderachse des 1302/03 eine Anhebung des  Momentanzentrums an der Vorderachse.
 
Das Niveau der übertragbaren Seitenkräfte kann durch Verwendung von schlauchlosen Radialreifen auf Felgen mit mindestens 4 1/2 Zoll Breite (besser 5 1/2 Zoll) erhöht werden.
Schlauchlose Reifen müssen auf Felgen mit Sicherheitsschulter (Safety Hump) montiert werden. Dieses Felgenprinzip ist bereits 1940 in einem Patent von C. H. Sauer beschrieben worden aber erst 1969 von Volkswagen umgesetzt worden. 

Kippsicherheit
Die US-Organisation Automobile Crash Injury Research (ACIR) fand Anfang der 70er Jahre durch Auswertung von Unfallstatistiken in den USA heraus, daß die häufigste Unfallart bei VW-Fahrzeugen der Überschlag infolge Kippen (rollover) ist. 40,6% aller Unfälle mit VW-Fahrzeugen waren Überschläge. Davon sind 69% als Alleinunfälle ausgewiesen!

Eine andere Studie der Cornell University /1/ stellt fest, daß 18% aller Unfälle mit Pkw Kippunfälle sind. Diese Rate ist beim VW Käfer (Modelljahre 1968/69) bei sagenhaften 41%!In Deutschland ermittelte Professor Max Danner /3/ einen Anteil der Unfälle mit Überschlag von 8%.

Die ACIR berechnete eine kritische Geschwindigkeit, bei der die Wahrscheinlichkeit ein Kippen zu erleben größer als 50% war. Diese kritische Geschwindigkeit liegt bei VW-Fahrzeugen bei 90 km/h während andere Importautos im Durchschnitt mit 112 km/h angegeben werden. Amerikanische Pkw haben das gleiche Kipprisiko erst bei Geschwindigkeiten über 140 km/h.

Die Überschlagshäufigkeit ist m.E. nicht durch ein ungünstiges Verhältnis von Schwerpunktshöhe zu Radstand hervorgerufen sondern durch den Aufstützeffekt der hinteren Pendelachse in Kombination mit einer Tendenz zum Übersteuern. Mit Einführung der Schrägleinkerachse ist dieses Problem gelöst worden.Auch die Tieferlegung des Schwerpunktes (Motor-Getriebeeinheit) reduzierte die Kippneigung.

Passive Sicherheit
Unter passiver Sicherheit werden alle Maßnahmen am Fahrzeug zusammengefaßt, die die Unfallfolgen für die Insassen gering halten sollten. Der Käfer muß sich in den Bereichen
  • Karosseriestruktur (Knautschzonen),
  • Tank,
  • Sitze,
  • Türverriegelung und
  • Lenkung
Kritik gefallen lassen.

Karosseriestruktur
In den 60er Jahren war der Begriff der Knautschzone zwar durch ein Mercedes-Patent bekannt aber nur ansatzweise in Pkw mit Pontonkarosserie umgesetz worden. Der Käfer besitzt an Front und Heck noch eine steife, wenig Energie aufnehmende Struktur. Die so bei einem Aufprall entstehenden hohen Insassenbeschleunigungen führen zu schweren Verletzungen, wie eine US-Studie zeigt.
 

Fahrzeugklasse
schwerverletze Insassen
getötete Insassen
Volkswagen in USA
13,1%
5,0%
US-Kompaktwagen
10,2%
3,2%
US-Mittelklasse
9,3%
3,7%
US-Oberklasse
9,9%
4,7%
Unfallstatistik in den USA vor 1966 nach Automobile Crash Injury Research (ACIR), /1/

Die betrachteten amerikaneischen Pkw weisen durch längere Deformationswege und durch ihr größeres Gewicht weniger Unfallopfer auf. Leichte Fahrzeuge, wie der Käfer, hatten damals bauartbedigte Nachteile bei Kollisionen mit schwereren Pkw. Heute genuzte Elemente, wie z.B. nachgiebige Längsträger und steife Fahrgastzellen sowie der Begriff "Partnerschutz" waren beim Käfer noch nicht umgesetzt worden.
Ebenso sind beim Käfer keine Maßnahmen zur Verbesserung der Seitenaufprallsicherheit (Türverstrebungen, verstärkte Schweller oder B-Säulen, Türverklammerung) anzutreffen. Lediglich der 1303 verfügte über ein Mehrausstattungspaket (M190) mit einer optionalen Türversteifung. Dieses Paket wurde vornehmlich in den USA eingesetzt.

Tank
Ein prinzipieller Nachteil aller VW Käfer mit Kurbellenker-Vorderachse ist die Anordnung des Tanks im Deformationsbereichs des Vorderwagens. Der Tank ist starr mit der Karosserie verbunden und nicht mit Stahlbändern, wie z.B. beim VW-Porsche 914, befestigt. Ein Frontalcrash bringt daher sehr oft eine Deformation des Tanks mit sich, so daß Benzin auslaufen kann. Ein Kurzschluß in der sich in der Nähe befindenden Elektrik genügt, um ein Feuer auslösen zu können.
Nach Aussage des HUK-Verbandes /2/ wurden in Deutschland 1975 nur 0,24% aller Unfälle von einem Brand begleitet. Die Hälfte der verwickelten Fahrzeuge waren jedoch Heckmotorfahrzeuge und die Todeswahrscheinlichkeit war 10 mal größer als im Durchschnitt aller Unfälle.
Oft sorgte auch der bis August 1970 im Kofferraum untergebrachte starre Wagenheber für eine Deformation des Tank. Deshalb wurde er ab 1302 unter der Rücksitzbank untergebracht.

In den 60er Jahren wurde bekannt, daß bei einer Vielzahl von Frontalunfällen sich der Tankdeckel vom Stutzen lösen konnte und Kraftstoff austrat. VW reagierte mit einem verstärkten Deckel (Bild rechts), der in Schweden sogar in einer Nachrüstaktion an alle VW Käfer Besitzer kostenlos verteilt wurde.

Tankdeckel
Gestaltung der Tankdeckel 1961-1967 (links), verbesserter Deckel (rechts)

Sitze
Das Center For Auto Safety, Washigton D.C /1/ stellte 1971 eine zu schwache Konstruktion der Sitze der VW Typen 1 und 3 der Baujahre 1959 bis 1970 fest. Bei einem Heckaufprall kann es zu einem Bruch der Sitzführungsschiene kommen und der Sitz nach hinten schwenken, so die Frontpassagiere sogar durch das Heckfenster nach außen katapultiert werden können. Auch das Anlegen von Sicherheitsgurten könne bei einem Bruch der Sitzlehnenverstellung keinen Schutz bieten. 

Heckkollision
Bewegungsablauf bei einer Heckkollision

In Deutschland stellt der HUK-Verband in seiner Studie /2/ 1975 fest, daß bei 11% aller Unfälle (alle beteiligten Pkw-Hersteller) Sitze aus der Verankerung reißen. Die Sitzschiene wurde erst durch die Einführung des Dreibeinsitzes ab August 1972 beim 1303 entscheident verbessert.
Sitzschiene
Führung der Sitzschiene


Türverriegelung
Eine Studie des US-amerikanischen Cornell Luftfahrt Laboratoriums fand heraus, daß sich die Türen des VW Käfers vor 1965 bei einem Überschlag in 60,5% aller Fälle von alleine öffneten. Diese Rate betrug bei den amerikanischen Pkw der Kompaktklasse, die nach 1955 gebaut wurden und bereits mit Türschloßsicherungen ausgerüstet waren nur 38,1%.

Dadurch wurden mehr Insassen, die nicht angegurtet waren aus dem Fahrzeug geschleudert, als bei amerikanischen Pkw nach 1955, wie die Tabelle zeigt.
 

Fahrzeugklasse
herausgeschleuderte
Insassen
Volkswagen in USA
31,1%
Renault in USA
26,7%
nach USA importierte Sportwagen
42,9%
nach USA importierte Limousinen
24,0%
US Kompaktwagen vor 1956
40,0%
US Mittelklasse vor 1956
30,0%
US Kompaktwagen nach 1955
17,7%
US Mittelklasse nach 1955
22,1%
nach Cornell University ACIR Study /1/

VW führte in einem ersten Schritt eine Verriegelungsplatte ein, siehe Bild rechts. Diese Platte sollte Kräfte in Fahrzeuglängsrichtung aufnehmen, die bei einem seitlichen Crash entstehen.

Schloßbauarten
Drehfallenschloß (links) ab 1966, Schloßverriegelungsplatte ab 1965 (rechts) 

Wesentlich besser funktionierte jedoch das ab 1966 eingeführte Drehfallenschoß, bei dem ein Zapfen die Längskräfte aufnehmen konnte. Die Schloßplatte wurde zuerst mit drei Schrauben, später mit vier Schrauben an der B-Säule befestigt. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Unfallzahlen der VW Käfer, bei denen sich die Türen selbsttätig öffneten, wie die Statistik einer Analyse von 934 Unfällen in /1/ zeigt.
 

Unfallart
ohne Sicherheitsschloß
mit Sicherheitsschloß
Überschlag mit Kollision
64,2%
48,8%
Alleinunfall mit Überschlag
61,9%
51,5%
Alle Unfälle
43,4%
33,7%
Rate der selbsttätigen Türöffnungen beim VW-Käfer in den USA nach /1/
Dies bedeutet eine Reduzierung der Türöffnungen in den USA um 25%. Nach /1/ hätte mit amerikanischen Sicherheitsschlössern (interlocking safety latches) sogar eine Reduzierung von 70% erreicht werden können.
 
Unfallart
selbsttätige Türöffnungen
Überschlag
23,1%
Alle Unfälle
5,2%
Rate der selbsttätigen Türöffnungen aller Unfallfahrzeuge  in Deutschland 1975 nach HUK /2/

In Deutschland lag 1975 nach breiter Einführung der Sicherheitsverriegelungen die Rate der selbsttätigen Türöffnungen aller Unfallfahrzeuge unter den für den VW Käfer ermittelten Werten aus USA. Es stellt sich jedoch die Frage, warum VW nicht sofort das Drehfallenschloß des 1961 eingeführten VW 1500 (Typ 3) auch im Käfer eingesetzt hat.

Lenkung
Die Einführung der folgenden Maßnahmen zur Erhöhung der passiven Sicherheit der Lenkung hinkten z.T. hinter dem Stand der Technik ihrer Zeit hinterher oder wurden nicht bei allen Modellen umgesetzt. 
 

Maßnahme
Einführung
Lenkrade mit tieferer Nabe, verkürzte Lenksäule
19.6.57
Sicherheitslenksäule mit Deformationselement
August 1967
Lenkrad mit Prallfläche (außer VW 1200)
August 1971
abgewinkelte Lenksäule mit zwei Kreuzgelenken
August 1971

Anordnung von Lenksäule und Tank
Anordnung von Lenksäule (blau), Deformationselement (rot) und Tank (gelb)

 
Besseren Insassenschutz würde man bei Käfern mit Kurbellenkerachse durch eine abgewinkelte Sicherheitslenksäule mit Kreuzgelenken wie beim Porsche 911 schon seit 1965 eingesetzt, erreichen. 

Lenkung Porsche 911
Sicherheitslenksäule, Porsche 911 (1965), Quelle /4/

Ebenso würde ein Ausklinkelement wie bei späteren VW-Modellen üblich diesen Zweck erfüllen. 


Lenkraddeformation nach Frontalaufprall, Quelle www.bugnet.net (ex herbie.net)

Nach der amerikanischen Sicherheitsvorschrift FMVSS 203/204 darf die Lenksäule nach einem Frontalaufprall in horizontaler Richtung maximal 127 mm in den Innenraum eindringen.

Mindestanforderungen an die aktive und passive Sicherheit
An einen VW Käfer, der ggf. mit erhöhter Motorleistung im Straßenverkehr regelmäßig bewegt wird, würde ich folgende Anforderungen an die aktive und passive Sicherheit stellen:
  • Dreipunkt-Automatikgurte und Kopfstützen
  • Schräglenkerhinterachse
  • Bereifung mindestens 165 R15 S auf Felge 4 1/2 Jx15
  • Ausgleichsfeder hinten bei Pendelachse
  • Serienstabilisator vorne bei Kurbellenkerachse
  • tiefergelegte Motor/Getriebeeinheit wie bei Mexiko-Käfer
  • Tankstutzen mit verstärktem Tankdeckel oder besser Tankklappe am Seitenteil 

  • (ab  1967)
  • hydraulische Zweikreisbremsanlage
  • Wagenheber unter Rücksitzbank verstaut
  • stabile Abdeckung der Elektrik hinter dem Armaturenbrett
  • Drehfallen-Türschloß
  • wenn möglich Dreibeinsitz mit Kopfstütze (1303, Mexiko)
  • Lenksäule mit Deformationselement
  • (Sport-) Lenkrad mit Prallplatte und tieferer Nabe, keine freiliegenden Metallspeichen

  • bei Sportlenkrad
  • Verbundglaswindschutzscheibe
  • H4-Scheinwerfer bei stehendem Scheinwerfer ab 1967
  • wenn möglich Polsterung des Armaturenbretts wie bei L, LS-Austattung
 
Literatur
/1/ Lowell Dodge et al: The Volkswagen - an assessment of distinctive hazards 
     Center For Auto Safety, Washigton D.C. 1971 
/2/ HUK Verband: Innere Sicherheit im Auto, Hamburg 1975 
/3/ Professor Max Danner, Häufigkeit von korrespondierenden Fahrzeugbeschädigungen
      im Crashtest und imrealen Unfall, 5. ESV-Konferenz London 1974
/4/ Karl-Heinz Liebert, Die Lenkanlagen der Kraftfahrzeuge, Der Verkehrsunfall 6/1976
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Volkswagen und VW sind eingetragene Warenzeichen der Volkswagen AG
1. Publikation am 16.10.1998, Überarbeitung Stand 29.10.2002